S C H W E R P U N KT B E R AT U N G F Ü R F R A U E N Wie sieht Ihre Beratungsarbeit in 20 Jahren aus? Drei Expert*innen wagen den Blick in die Zukunft und zeigen gravierende Veränderungen auf, die der Beratungsarbeit völlig neue Chancen eröffnen. Sabine Depew Caritas im Norden, Landesleitung Schleswig-Holstein Gisela Pingen-Reiner Referentin Gewalt- schutz, SkF Gesamt- verein e.V. und Vorstand Frauenhaus- koordinierung e. V. Prof. Dr. Björn Enno Hermans Professur für Syste - mische Beratung »Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass wir wirklich ein Szenario für einen Zeitraum von zwanzig Jahren vorhersehen können. Das Einzige, von dem wir wirklich sagen können, dass es beständig ist, ist die Ver- änderung. Wir müssen uns also in der so- zialen Arbeit, damit auch in der Beratung, darauf einstellen, dass wir unsere Settings flexibel an solche Dynamiken anpassen. Die Zukunft der Beratung wird weiter spezialisiert, aber hoffentlich weniger dif- fe ren ziert sein. Spezialist*innen werden An- gebote miteinander verbinden und Quer - schnitts themen werden so vernetzter. Bereits in fünf Jahren wird die Onlinebe- ratung die analoge Beratung zu 80 Prozent ersetzen. Die Menschen organisieren ne- ben ihrem Leben auch die Unterstützung über das Smartphone. Konkret heißt das: schnelle Kommunikation via Messenger, Videotelefonie ersetzt das Telefonat, digi- tale Tools unterstützen die Arbeit, die Ar- beitsumgebung ist papierfrei. Klient*innen bewegen sich sicher im Netz und tragen ihre Themen im geschützten Raum und anonym vor. Sie müssen nicht mehr von A nach B laufen, dank digitaler Tools und Netzwerke kann zeitnah Hilfe erfolgen. Wir werden auf diese Weise deutlich mehr Menschen erreichen!« 10 SOZIALZEIT »Die durch die Pandemie forcierte digitale Entwicklung wird psychosoziale Beratung bestimmt nachhaltig verändern. Nutzer- *in nenfreundliche Formen wie hybride An- gebote mit einem Mix von Face-to-Face, Chat und videogestützter Kommunikation werden Nor malität. Kommunikation wird niedrigschwelliger und z. B. Gewalt-Betrof- fenen, die eingeschränkt sind oder unsere Sprache nicht sprechen, fachliche Unter- stützung ermöglichen. Der Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe und der Ausbau präventiver Maßnahmen sind in Zukunft verwirklicht, was mit einer stärkeren gesellschaftlichen Ächtung von geschlechtsspezifischer Gewalt einhergeht. Dies führt zu einer selbstverständlicheren Inanspruchnahme von Beratung und zur Enttabuisierung von Gewalt. Betroffene werden früher qualifizierte Unter stützung und Schutz suchen, um die Gewalt zu be- enden und ihr Leben neu auszurichten. Fachzentren, die soziale, psychologische, polizeiliche und juristische Unterstützung unter einem Dach anbieten, werden sich etablieren. Paardynamiken rücken mehr in den Fokus und führen zu Angeboten mit Berater*innen-Duos, die positive Verände- rungen im Paargeschehen ermöglichen.« »Der Blick in die Glaskugel fällt erfahrungs- gemäß schwer. Natürlich ist viel zur Zu- kunft der Beratung publiziert worden und aus der Retrospektive versucht man etli- che zukünftige Trends abzuleiten. Ich per- sönlich sehe drei Trends, die Beratungsar- beit besonders beeinflussen werden: Beratung wird sich divers entwickeln und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Es wer- den spezifische Zielgruppen stärker und dif- ferenzierter in den Blick genommen, wo- bei es einen inklusiven Fokus geben wird. Sie wird sich aber auch fachlich ausdiffe- renzieren, wenn es um Sachthemen geht. Beratung wird digitaler und das gleich im doppelten Sinne. Sie wird sich nicht nur in den digitalen Raum verlagern, sondern es wird Hybridformate geben und Beratung auf verschiedenen Kanälen angeboten werden. Außerdem wird Beratung selbstbewusster werden und sich noch weiter als eigene Disziplin und Wissenschaft etablieren. Be- ratung ist eben nicht die kleine Schwester der Therapie, sondern die niederschwellige, alltagsnahe und lebensweltorientierte Zu- gangsform zu Klient*innen in der Sozialen Arbeit, zu deren Wirkfaktoren und Wirksam- keit auch mehr geforscht werden wird.«